Tuchfabriken

Erfindung der Industrie

Trotz Ende des Zunftzwanges in Preußen 1810 gelang es nicht, in Brandenburg erste größere Textilhersteller anzusiedeln. In England gab es bereits seit den 1780er Jahren mechanische Webstühle mit Dampfantrieb. Dort wurde auch das aufwändige Spinnen mit der Erfindung von Spinnmaschinen rationalisiert. Mit dem Ertrag einer „Spinning Jennys“ konnte das Material für einen Webstuhl gesponnen werden, während vorher bis zu zehn Spinner am Spinnrad die benötigte Menge produzierten. In Brandenburg verweigerten die ansässigen Tuchproduzenten noch 1806 vehement den Einsatz dieser neuartigen Maschinen.
Mit der Öffnung des europäischen Marktes für britische Produkte nach 1815 geriet die heimische Produktion in eine Krise, denn die maschinengewebten und somit deutlich preisgünstigeren Produkte überschwemmten den Markt geradezu. Nicht mehr Tuchmachermeister, sondern Kaufleute gründeten neue Betriebe mit den modernen Maschinen.
1824 gründete J. G. Krüger in der Altstadt die erste Tuchfabrik, die ab 1840 die erste Dampfmaschine in der Tuchschererei einsetzte. Die Weberei mit den zugehörigen Arbeitsbereichen der Veredelung konnte aber erst wirtschaftlich erfolgreich werden, als auch eine mechanische Wollspinnerei angegliedert wurde.
Bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden 30 Tuchfabriken, die je zwischen 10 und 30 Webstühlen betrieben. Zusätzlich gab es mechanische Spinnereien, Färbereien, Walken und Tuchbereiter. Verarbeitet wurden nicht nur Wolle und Leinen, sondern auch Baumwolle und Seide.
Dennoch waren vor allem grobe Gebrauchsstoffe gefragt, denn sie gingen als Uniformstoffe für das Militär für den Export vornehmlich in die USA und Russland.
Hohe Einfuhrzölle in den USA führten ab 1866 zu einem Einbruch der Exporte: die Konzentration auf einen Markt und die „Frühform“ einer globalisierten Handelskette hatte sich als Sackgasse erwiesen. Dieser nun endgültige Niedergang der Tuchproduktion wurde durch hohe Preise und durch „mangelnde Originalität“, wie es in einem Bericht von 1865 hieß, befeuert.
Die Krügersche Tuchfabrik fand einen Ausweg, sie vollzog einen vollständigen Branchenwechsel: nach einem Brand in der Tuchfabrik gründete der Sohn des Firmengründers die Eisengießerei „Elisabethhütte“, die ein Grundstein für die Entwicklung der Brandenburger Metallindustrie wurde.
Nach dem 1. Weltkrieg gab es nur noch vier Betriebe, die auf Handwebstühlen arbeiteten: O. Hannemann und W. Schemmel, C.F. Torges und die Firma Hermann Genrich mit immerhin 30 Handwebstühlen. Als VEB Tuchfabrik produzierte sie mit 112 Mitarbeitern bis 1956, alle Maschinen wurden bis Ende 1960 abgebaut..

 tuchmacher plan

1925 wurde die Tuchproduktion der Firma Otto Hannemann endgültig eingestellt, das Bild aus der Werkstatt in der Grabenstraße dürfte kurz vor dem Abbau des Handwebstuhls entstanden sein.

Der Kampf um den Stoff
Die Absatzkrise, aber auch der verstärkte Einsatz von Maschinen in immer größeren Betrieben machten sich vor allem bei den Beschäftigten in Handwerk und Industrie bemerkbar: von 1865 mit etwa 2750 Beschäftigten waren um 1868 nur noch etwa 1200 in der Tuchfabrikation und verwandten Gewerken tätig.
Zudem wurde den Beschäftigten der Lohn gekürzt, was zusammen mit den Entlassungen zu Unzufriedenheit und Unruhe in den Betrieben führt. Der erste größere Streik in der Geschichte der Stadt Brandenburg begann im Juli 1869 in einer Seidenwirkerei, dem sich 110 Beschäftige aus fünf Spinnereien und Tuchmachereien anschlossen.
Die von den Tuchfabrikaten gegründete Vereinigung, die Maßnahmen bei Streiks ergreifen sollte, konnte mit ihren Vorschlägen nicht zu einer gütlichen Einigung gelangen: Der Arbeitgeber solle „sich selbst überlassen bleiben“, während alle Arbeiter, die einem Arbeiterverein angehörten, entlassen werden sollten, bis der Streik beendet sei. Wenig überraschend wurden diese Vorschläge nicht als Schlichtung angesehen. 180 Arbeiter und Arbeiterinnen wurden entlassen, gefolgt von einer Ausweitung der Arbeitsniederlegungen.
Zwei Jahre später, 1871/1872 fand der längste Arbeitskampf in der Brandenburger Textilbranche statt. Mehr als drei Monate dauerte Streik, mit dem die Tuchmacher verkürzte Arbeitszeiten und die Bezahlung für das aufwändige Vorbereiten des Webstuhls vor Beginn des Webvorganges erreichen wollten. Nach dem Misserfolg des Streiks wanderten viele Arbeiter und ihre Familien aus der Stadt weg. Auch auf den Tucheinkauf und –handel hatte dies negative Folgen. Kleinere Tuchmachereien mussten ihren Betrieb gänzlich aufgeben.
Es kam zu einer Konzentration von Tuchfabriken, die mit mechanischen Webstühlen gleichzeitig preisgünstiger arbeiten bei besserer Qualität produzieren konnten. 1875 arbeiteten nur noch 905 Brandenburgerinnen und Brandenburger in der Textilbranche.

 
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Die Tuchfabrik Johann Friedrich Krumwiede an der Jakobs- und Großen Gartenstraße war seit 1825 eine der größten mit Spinnerei, Weberei, Appretur, Walkerei und Färberei. 1892 vernichtete ein Feuer den Großteil der Gebäude, die nicht wiederaufgebaut wurden.