Handwerk

Wenig StoffWechsel bis um 1800

Brandenburg mit Alt- und Neustadt sowie der Dominsel war die historische Hauptstadt der Region im Mittelalter, allerdings setzte der wirtschaftliche Machtverlust bereits im 16. Jahrhundert ein, als der kurfürstliche Hof seine Residenz nach Spandau und Berlin verlegte. Durch die Lage an den Wasser- und Landstraßen stand die Stadt zwar im Handelsnetz weiterhin gut da, allerdings fehlen wichtige Rohstoffe vor Ort. Somit fehlten für die Entwicklung der Stadt zu einem frühindustriellen Zentrum wichtige Standortvorteile.
In den beiden Brandenburger Städten wurde vor allem Wolle aus der umliegenden Mark verarbeitet, die nur kurze Lieferwege hinter sich hatte. Die Verarbeitung zu Fäden fand am Spinnrad, die Verarbeitung der Fäden am Handwebstuhl statt. Auch die Weiterverarbeitung des Färbens, des Tuchscherens und -aufbereitung war eine handwerkliche Arbeit, die seit dem Mittelalter über die Zünfte und später über die Innung organisiert war.
Die desolate Wirtschaft erholte sich nur sehr nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648): die Einführung einer an den Stadttoren erhobenen Verbrauchssteuer verbesserte zwar die finanzielle Lage, aber erst mit der Ansiedlung von Zuwanderern aus Frankreich, der Schweiz oder Flandern ab 1680 und der Einrichtung staatseigener Manufakturen besserte sich die allgemeine Wirtschaftslage, auch dank eines 1681 eingerichteten Woll- und Tuchmarkt in der Neustadt.
Trotz Ende des Zunftzwanges in Preußen 1810 gelang es nicht, in Brandenburg erste größere Textilhersteller anzusiedeln. In England gab es bereits seit den 1780er Jahren mechanische Webstühle mit Dampfantrieb. Dort wurde auch das aufwändige Spinnen mit der Erfindung von Spinnmaschinen rationalisiert. Mit nur einer „Spinning Jenny“ (von „engine“ – Maschine) konnte die Garnmenge für einen Webstuhl gesponnen werden, für welches vorher bis zu zehn Spinner am Spinnrad arbeiteten.
In Brandenburg verweigerten die ansässigen Tuchproduzenten noch 1806 vehement den Einsatz dieser neuartigen Maschinen.
Die Wollenweberstraße war bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts das Handwerkerviertel der Tuchmacher und Leineweber. Auch die Betriebe, die die Stoffe veredelten oder für den Handel konfektionierten, lagen direkt in der Nachbarschaft. Die Häuser mit einer Grundfläche von selten mehr als 60qm, boten nur wenig Wohn- und Arbeitsraum. Dennoch standen in den meisten Häusern um 1800 ein bis drei Webstühle, das Rattern der Webstühle wird man in der gesamten Straße gehört haben.

 tuchmacher plan

Um 1800 arbeiteten Woll- und Leineweber Tür an Tür zusammen, mit der Gründung der Tuchfabriken ab 1824 konnten viele selbstständige Handwerker der Konkurrenz nicht mehr standhalten.
(Kartierung: J. Müller, Stadt Brandenburg an der Havel)

Zünfte und Gilden

Ohne die Zünfte und Gilden konnte sich kein Handwerker seinem Gewerk nachgehen. Der Eintritt in die Zunft war streng geregelt. Nach den Lehr- und Wanderjahre eines Gesellen musste die Meisterprüfung abgelegt werden. Erst dann war der Eintritt in die Zunft überhaupt möglich. Entweder stammte der junge Meister aus einer Tuchmacherfamilie und erbte den elterlichen Betrieb oder er heiratete die Witwe eines Meisters oder dessen Tochter.

Von jedem Bewerber wurde ein Probestück gefordert, die Anforderungen waren in allen Details geregelt. Im 18. Jahrhundert musste der Anwärter auch ein Haus besitzen.

Der Betrieb eines Tuchmachers bestand neben dem Meister aus ein bis zwei Gesellen sowie einem Lehrling. Die im Hintergrund wie selbstverständlich mitarbeitende Familie wurde nicht gezählt. Um 1800 arbeiteten knapp 20% der gesamten Brandenburger Bevölkerung im Tuchhandwerk.

Die Zunft regelte das gesamte Leben, von der Taufe bis zur Bahre. Regelmäßige Treffen der Zunftangehörigen waren nicht nur gesellschaftliche Anlässe, sondern berufliche Treffen, in der die Belange des Berufes und Vorgänge des städtischen Wirtschaftslebens besprochen wurden. Den Stolz auf ihren Beruf und ihre soziale Stellung zeigt sich ganz besonders in der St.-Gotthardtkirche an der prachtvollen Kanzel, die 1624 von den Tuchmachern gestiftet wurde. Auf der zugehörigen Stiftertafel sind alle Meister der Stadt mit Namen und Hausmarke aufgeführt, sowie die Vorsteher und Altermeister mit einem Porträt. Die Kanzel wurde wenige Jahre, bevor der Dreißigjährige Krieg auch in der Havelstadt seinen Tribut forderte, errichtet.

1732-35 wurde das Zunft- und Gildewesen stark vereinfacht, dennoch blieben die Zünfte als eine Art geschlossene Gesellschaft bestimmend, denn es galt auch, um unliebsame Konkurrenz zu verhindern.

 
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Die Stiftertafel der Tuchmacherkanzel von 1624 in der St.-Gotthartkirche nennt stolz die beteiligten Handwerksmeister beim Namen.